Reflexion zum Flipped-Classroom-Konzept

Ich verwende das Flipped-Classroom-Konzept jetzt seit 5 Jahren (während Corona habe ich notgedrungen damit angefangen). Zum Hintergrund: Ich unterrichte Mathe und Informatik an einem hessischen Gymnasium, 5. bis 13. Klasse.
Sämtliche Videos und andere Materialien sind über meine Website auffindbar. Sie können sich das ansehen, wenn Sie im Menü oben unter „Mathematik“ oder „Informatik“ eine Unterseite aufrufen. Da ich in Mathe in den letzten Jahren keinen Oberstufenkurs mehr hatte, gibt es dazu leider keine Videos, die Sek 1 ist aber vollständig abgedeckt.

In Mathe gehe ich in der Regel so vor:

  1. Die Hausaufgabe lautet z. B.: „Übertrage das Video 2.1 Brüche als Ergebnis einer Division in dein Regelheft. Bearbeite die Mathe-Trainer-Challenge auf der Lernplattform.“
  2. Die Schüler sollen dann zu Hause das entsprechende Video ansehen (abrufbar auf dieser Unterseite, hier der Direktlink) und anschließend eine Challenge mit dem Mathe-Trainer bearbeiten, z. B. diese hier.
  3. Die Schüler*innen geben dann einen Screenshot ihrer Lösung über die Lernplattform ab und so bekomme ich eine Rückmeldung vor Beginn des Unterrichts, wie gut die Schüler*innen zurecht kamen. Das sieht dann z. B. so aus:
    Sceenhot Ergebnis einer Challenge
  4. Im Unterricht klären wir Fragen zum Video und zu den Aufgaben. Anschließend üben wir.

Hier meine Erfahrungen damit:

  • Die Videos haben sehr unterschiedliche Qualität, mit der Zeit bekommt man den Dreh aber immer besser raus. Ganz viele Videos habe ich über die Jahre immer wieder aktualisiert.
  • Ich mache einen Screen-Capture mit dem iPad ohne Schneiden oder irgendeinen anderen Bearbeitungs-Schnickschnack. Trotzdem ist das Erstellen der Videos ein großer Zeitaufwand.
  • Ein Video sollte nicht länger als 10 Minuten sein. Vor allem meine älteren Videos sind teilweise deutlich länger, das muss ich also zukünftig anpassen.
  • Allein die Tatsache, dass die Videos existieren, macht das Unterrichten viel entspannter. Ich bin nicht mehr darauf angewiesen, eine Ergebnissicherung im Unterricht zu machen. Wir können neue Dinge im Unterricht etwas „ins Unreine“ behandeln und anschließend ziehen die Schüler*innen das per Video glatt.
  • Die Schüler*innen melden zurück, dass sie sich die Videos mehrfach ansehen, vor allem vor einer Klassenarbeit.
  • Kranke Schüler*innen können trotzdem mit- oder nacharbeiten.
  • Man darf nicht davon ausgehen, dass die Schüler*innen nach einem solchen Video den Inhalt „können“. Wenn es so einfach wäre, bräuchten wir keine Schule und keine Lehrkräfte mehr. Sie haben es aber schon einmal angesehen, abgeschrieben und Aufgabe dazu gemacht. Ein Teil der Schüler*innen hat es schon verstanden, ich kann mich also im Unterricht primär um diejenigen kümmern, die Probleme damit haben.
  • Bei Beweisen gehe ich gerne so vor, dass sich die Schüler*innen das Video ansehen und anschließend sollen sie gemeinsam (eine*r übernimmt die Moderation) den Beweis ohne meine Hilfe führen. Das dauert dann oft eine ganze Schulstunde und ganz viele Fragen tauchen auf, obwohl die Schüler*innen den Beweis bereits gesehen haben!
  • Es ist ein großer Unterschied, ob ich eine geschriebene Erklärung lesen lasse (z. B. aus dem Buch) oder ob der ganze Prozess in einem Video entwickelt wird. Es ist einfacher, eine schriftliche Division nachzuvollziehen, wenn man sie Schritt für Schritt mit Kommentaren sehen kann, als wenn sie einfach „fertig“ im Buch steht.
  • Natürlich gibt es auch manchmal Kritik von Seiten der Eltern oder der Schüler*innen. Vor allem die Aussage: „Machen Sie das doch bitte im Unterricht.“ kommt manchmal von der Elternseite. Meine Antwort darauf ist, dass wir es im Unterricht besprechen und dass ich nicht erwarte, dass der*die Schüler*in alles verstanden hat, nachdem er*sie das Video gesehen hat (siehe oben).
  • Letztes Jahr habe ich das Vorgehen auf die Spitze getrieben und eine komplette Selbstlerneinheit zum Thema „Exponentialfunktionen und Logarithmus“ in Klasse 10 erstellt und durchgeführt. Hier haben die Schüler*innen sich alles selbst erarbeitet („selbst“ heißt nicht „alleine“; ich bin ja im Unterricht anwesend!) und konnten in ihrem eigenen, individuellen Tempo durch die Inhalte gehen. Sie finden die Selbstlerneinheit hier ganz unten. Ich habe dazu auch ein Video erstellt, in dem ich das Ganze erkläre und reflektiere.

Insgesamt: Ich weiß, dass Flipped Classroom nicht perfekt ist, aber mir fällt aktuell keine bessere Unterrichtsmethode ein.

Ein Gedanke zu “Reflexion zum Flipped-Classroom-Konzept

  1. Lieber Thomas,

    danke für deinen ausführlichen, spannenden Eindruck! Ich halte Flipped Classroom als ein Schlüsselkonzept für besseren unterricht, aber als nur ein Schritt hin zu wirklich selbstgesteuertem Lernen.
    Mein Name ist Malte und ich bin auch fleißig am Videos erstellen, allerdings für KA Deutsch, eine deutschsprachige gemeinnützige Organisation, welche die Non-Profit Lernplattform Khan Academy ins deutsche übersetzt. Der Vorteil hier: Zu den Videos gibt es ein sehr hochwertiges System an Übungen, denn wie du richtig schreibst: Durch das Video alleine versteht man noch nicht, man muss sein Gehirn trainieren und die Inhalte festigen.
    Schau dir gerne mal die Plattform (de.khanacademy.org) an, man kann sich einfach einen Account erstellen und auch ohne alle Inhalte werbe- und kostenfrei nutzen. Vielleicht wärst du ja an einer Zusammenarbeit interessiert, wir sind ein Team an engagierten Ehrenamtlichen.

    Viele Grüße
    Malte

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